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Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

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Reaper
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Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von Reaper » Di 8. Jan 2019, 10:11

...was passiert dann genau?

Die Frage beschäftigt mich schon eine Weile und ich bemüh mich es zu verstehen.

Beim Longrange-Schießen ist man eigentlich limitiert.
Es ist letztlich die Frage auf welche Entfernung die Waffen-Munitionskombi in der Lage ist das Geschoss auf Überschall zu halten.
Sobald das Geschoss dann quasi die Schallmauer rückwärts erreicht, also die Geschwindigkeit unter 343m/s fällt, ist es starken Turbulenzen ausgesetzt und es fängt an zu taumeln.
An Präzision oder ans "Treffen" ist dann nicht mehr zu denken.

Das gleiche Spiel hat man mit recht langsam fliegenden Geschossen z.B. bei einem Kurzwaffenkaliber mit schweren Geschossen, Kleinkalibergewehren oder Kalibern allgemein die leicht über Schallgeschwindigkeit fliegen (z.B. 9mm Luger mit sehr schweren Geschossen, KK-Gewehren auf 100m, Kal. 300 BLK, usw.).

Entweder man hält das Geschoss auf die gewünschte Schußdistanz Supersonic (Überschallbereich), oder man geht gleich Subsonic (Unterschall) um das ungewollte Rückwärtsdurchbrechen der Schallmauer zu vermeiden.

Ich hab z.B. eine CZ455 in .22lr. die auf 50m Loch in Loch schießt, aber auf 100m streut das einem die Augen tränen.
Ohne es gemessen zu haben (schwierig auf 100m bei großem Streukreis) gehe ich davon aus, dass die Geschosse vor Erreichen der 100m zu trudeln anfangen.
(Nur nebenbei, HV-Muni hab ich verschiedentliche getestet, mit dieser aber nie eine annähernd gute Grundpräzision erzielt.)
Vereinskameraden mit Anschütz Match 54 und entsprechend längeren Läufen haben dieses Phänomen nicht, aller Wahrscheinlichkeit nach, weil sie aus ihren längeren Läufen eine höhere V0 generieren und das Geschoss bis 100m im Überschall bleibt.

Aber soviel nur zum Vorspiel.
Die Problematik habe ich glaube ich ausreichend erfasst.
Meine Frage ist eher dem "technischen Geschehen", also der eigentlichen Mechanik gewidmet.

Ich verstehe, dass das Geschoss schneller wie der Schall fliegt und dass es die Luft komprimiert.
Es ensteht so vor und hinter dem Geschoss ein Luftkegel.

Der Luftwiderstand ist im Überschallbereich größer, bricht beim Durchbrechen der Schallmauer in sich zusammen, und steigt danach - in einem erheblich niedrigeren Bereich, wieder an.

Was aber bringt das Geschoss ins Taumeln?
Das Zusammenbrechen des Luftwiderstandes?
Muss man sich das wie den Abriss des Luftstromes unter einer Tragfläche vorstellen?

Wodurch taumelt das Geschoss?
:think:
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von panhandle » Di 8. Jan 2019, 11:51

hi...

ohne es nun wirklich zu wissen..... ein (negatives) zusammenwirken von unterschall und abnahme der drallstabilisierung??
..... nur so angedacht, da sich ja eventuell auch die "umdrehungszahl" ändert/nach unten geht und das in verbindung mit dem wiederum steigenden luftwiderstand zu diesem effekt (taumeln) führt...

EDIT: .... das hätte ich auch noch dazu gefunden.. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschossstabilisierung

g
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von Tine » Di 8. Jan 2019, 12:21

Das ganze Thema ist hoch kompliziert nachdem das in Dynamik und Stömungslehre geht.
Ich bin weder Physiker noch Waffentechniker, aber ich teile gern mein Verständniss davon und werde gerne korrigiert.

Das ganze ist nicht wie eine "Wand" sondern eine ganze Flugzone.
Das Problem ist der transsonische Bereich (273-409 m/s).
Solange ein Projektil überschallig (410-1702 m/s) oder unterschallig (<273 m/s) fliegt ist alles okay.

Grundsätzlich stabilisiert ja der Drall ein Projektil. Der Strömungswiederstand an der Spitze des Projektils drückt auf selbige gegen die Flugbahn und will das Projektil kippen was in der Folge zu Präzession und Nutation führt. Der Drall wirkt dem mit Kreiselkräften entgegen.
(Leere 2L PET Flasche mit dem Boden voraus wie einen Dartpfeil werfen und man sieht das schön, idR dreht sich der Boden nach hinten, aus einer "zufälligen" Richtung)

Das Projektil hat einen Schwerpunkt und einen Druckpunkt (vom Strömungswiederstand)
Im Idealfall sind wir überschallig und der Druckpunkt liegt in Flugrichtung vor dem Schwerpunkt, aber nahe daran, mit flacher Flugbahn und hohem Drall. Somit bleibt das Projektil stabil.

Wenn das Projektil den Lauf verlässt ist es in der Regel überschallig, hat die Stoßwelle bereits durchdrungen und ist stabil.
Wenn hier z.b. die Mündung beschädigt ist, können die Gase die mit dem Projektil dann ungleichmäßig austreten und dieses dann z.T. überholen schon eine Nutation bewirken, das Projektil kann sich aber im Flug auch wieder selbst stabilisieren.

Sobald wir allerdings transsonisch werden, herrschen quasi Turbulenzen aus Unter- und Überschallbereichsströmungen. Es entstehen mehrere Stoßwellen die den Strömungswiederstand beinflussen und der Druckpunkt verschiebt sich Richtung Spitze. Damit wird der Hebel zwischen Schwerpunkt und Druckpunkt länger und es wird leichter das sich das Projektil destabilisiert.

Wenn das Projektil flach und mit hohem Drall fliegt, kommt es im Idealfall unbescholten durch die "Turbulenzen" und fliegt dann unerschallig brav weiter. Kann aber keiner vorhersehen.

Und weil das ganze dermaßen dynamisch ist und von so vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig ist, ist eben die Flugbahn durch und nach dem transsonischen Bereich so schwer vorhersehbar das man sie im idealfall einfach vermeidet :)

Auch alles andere was schnell fliegt oder sich dreht (Rotoren) hat Probleme mit den transsonischen Strömungen.

Für mehr und genauere Informationen müsstest du wohl einen Phyisker und/oder Waffentechniker fragen.
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von Coolhand1980 » Di 8. Jan 2019, 13:19

Du kannst dir den transsonischen Bereich so vorstellen, dass darin die ersten Teile eines Objektes mit überschallschneller Luft umströmt werden. -Aber eben noch nicht das ganze Objekt.
Der Luftwiderstand steigt unterschallig quadratisch bei doppelter Geschwindigkeit, erreicht bei Mach 1 vorerst sein Maximum, steigt aber im Überschallbereich weiter an, und zwar noch stärker als unter Mach 1.
Dazu kommt, dass die optimalen aerodynamischen Eigenschaften im Überschallbereich andere sind, als im Unterschallbereich. Schau dir ein 9mm Projektil an, und vergleiche es mit einem VLD Büchsengeschoß. Die Unterschiede liegen hier vor allem im Auftreten von laminarer und turbulenter Strömung. Die turbulente mochte man eigentlich immer so gut es geht vermeiden, da sie viel mehr Widerstand erzeugt. Dazu verwendet man zB Boat Tails bei Geschossen. Anderenorts lässt man die laminare Strömung absichtlich an einer Abrisskante abreißen, weil das bestimmte Vorteile bietet. So kann der nunmehr turbulente Luftwirbel hinter einem Objekt durchwegs dazu genutzt werden, selbiges noch etwas "anzuschieben". Damit Fahren Autos dann wenige km/h schneller...
Und nochmal spannend wird's im hypersonischen Bereich, jenseits von Mach 5. Da gelten wieder völlig andere aerodynamische Regeln...

DerDaniel
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von DerDaniel » Di 8. Jan 2019, 13:22

Sehr grob zusammengefasst:
Gasdichte/-temperatur/-zusammensetzung/-druck ändern die Geschwindigkeit mit der sich der Schall fortbewegen kann.
Daneben ist der Strömungswiderstand und damit Kraft auf einen Körper zwischen Überschall- und Unterschallbereich deutlich unterschiedlich.
Wenn nun ein Geschoss in den Grenzbereich kommt, wird es an einigen Stellen überschall und an anderen unterschall fliegen. Dies beruht darauf, dass das Geschoss durch die Verdrängung der Luft deren Eigenschaften ändert (siehe erster Absatz) und damit die Luft verschiedene Schallgeschwindigkeiten um das Projektil herum aufweist.
Da es nun an einigen Stellen überschall und an anderen unterschall fliegen, herrschen massiv verschiedene Kräfte auf das Geschoss (siehe zweiter Absatz).
Je uniformer ein Projektil ist und je geringer Präzession und Nutation sind, um so symmetrischer sind die Kräfte auf das Geschoss und gleichen sich aus. Wenn das Geschoss aber deformiert ist oder stark "eiert", gleich sich die Kräfte nicht mehr aus und bringen das Geschoss ins Trudeln.

Nachfolgende Bilder zeigen mal die verschiedenen Strömungsverhältnisse um zwei Geschosse.
Da wo die Streifen über und unter dem Geschoss symmetrisch aussehen, herrschen gleiche Druckverhältnisse und das Geschoss wird den transsonischer Bereich recht gut überstehen. Bei dem anderen Bild wird das Geschoss danach wahrscheinlich wild taumeln.
Bild
Bild

Elyna
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von Elyna » Mi 9. Jan 2019, 20:27

Hier zwei videos wo das recht gut erklärt wird.
https://youtu.be/BPwdlEgLn5Q
https://youtu.be/IAR4yTYslkk

DerDaniel
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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von DerDaniel » Mi 9. Jan 2019, 21:09

Elyna hat geschrieben:Hier zwei videos wo das recht gut erklärt wird.
https://youtu.be/BPwdlEgLn5Q
https://youtu.be/IAR4yTYslkk

Ab hier https://youtu.be/BPwdlEgLn5Q?t=321 werden die "einigen Stellen überschall und an anderen unterschall fliegen" aus meinem vierten Absatz erklärt.

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Re: Wenn ein Geschoss die Schallmauer rückwärts durchbricht...

Beitrag von Reaper » Mi 9. Jan 2019, 21:37

Super Videos!

Faszinierend!

Danke für´s Zeigen.
:clap:
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