Hey Parallaxe!
Willkommen an Bord! Schön, einen Neuling hier begrüßen zu können.
Kurz fassen kann man das Thema nicht, aber ich versuche mein Bestes
Vorweg ist festzuhalten, dass Du Dir ein sehr gutes Gewehr gegönnt hast. Du hast recht viel Geld dafür bezahlt (klar, nach oben gibt's da keine Grenzen, aber Tikka spielt schon sehr weit vorne mit).
Ich kann Dich beruhigen: Du hast Dein Gewehr mit Sicherheit nicht ruiniert und ich bin mir sicher, dass Deine Reinigungsversuche auch keinerlei kleinere Schäden angerichtet hat. Zuerst erkläre ich Dir die relevanten Variablen, damit Du nicht nur blind Anleitungen folgst, sondern deduktives Verständnis für die gesamte Materie bekommst.
Sieh es aus der Perspektive: das Gewehr wurde dafür gebaut, überkalibrige Metallstücke (=Projektile) mit der Hilfe einer heißen Pulverexplosion jenseits der 3000 Bar im Patronenlager (die alten Hasen mögen mich da korrigieren, falls ich falsch liege) in den Lauf zu quetschen und (bei 168gr 308 Projektilen) diese auf ca 800m/s und mehr zu beschleunigen.
Das sollte der Lauf mehrere tausend Mal können, ohne sich dabei signifikant abzunutzen (was sich in einem Präzisionsverlust zeigen würde).
Also besteht der Lauf aus sehr,sehr, sehr hartem und wiederstandsfähigem Stahl.
Eine Kupferbürste in Kombination mit Öl kommt selbst bei kurzfristiger, falscher Handhabung nicht an die Belastungen beim Schuss heran. Würdest Du das die nächsten Jahre alle paar Wochen so machen, wäre es sicher nicht förderlich.
Was passiert beim Schuss im Lauf und warum putzt man nach dem Schießen?
Wie gesagt, beim Schuss wird eine kontrollierte Pulverexplosion zur Projektilbeschleunigung genutzt. Das verursacht ein "anbrennen" des Pulverschmauchs an das Metall (=dunkle Patches beim Reinigen). Der Kupfermantel des überkalibrigen Projektils wird in den Lauf gequetscht und verursacht Kupferabrieb im Lauf (=nur mit chemischen, kupferlösenden Reinigern zu entfernen, zeigt sich als blauer Patch, den Du aus dem Lauf drückst).
Nur konstante Explosionen (konstante Pulverladungen) und Munition mit gleichen Maßen, wie die Setztiefe, konstante Projektilabmessungen und Gewichte sorgen dafür, dass die Waffe konstant schwingt (deswegen liegt Dein Lauf frei und idR nicht am Schaft an) und das Projektil konstant abfeuert (= konstante, gleiche Streukreise).
Wie Du siehst, benötigt Deine Waffe in allen Variablen konstante Bedingungen. Aber was heißt das in der Praxis?
Für Deine Zwecke heißt das (Benchrest ist wieder ein eigenes Kapitel, dafür ist Deine Waffe auch nicht gebaut), dass ein konstanter Grad an Kupferabrieb (und ich schätze mal auch, Pulverschmauch) für gute Schussbilder essentiell ist.
Wenn Du den Lauf jemals blitzeblank von allen Verunreinigungen befreist, wird er sehr wahrscheinlich ein paar Schuss benötigen, um eine konstante Menge an Kupferabrieb und Schmauch aufzubauen um folglich wieder konstante Schussbilder zu erreichen.
Ich kenne persönlich erfahrene Schützen, die ihre Waffen vor Bewerben NICHT reinigen!
Summa summarum: Schieß mit dem Gewehr und erfreue Dich an der exzellenten Präzision der Tikka Gewehre. Reinige ruhig den Pulverschmauch aus dem Lauf (dieser soll !ANGEBLICH! mit Feuchtigkeit schneller zu Rost führen (habe ich noch nie in der Praxis erlebt, das gilt eher für alte, militärische Surplus Munition mit Quecksilber Zündhütchen, die eine Salz-ähnliche Zusammensetzung aufweisen sollen).
Den Kupferabrieb würde ich so lange drinnen lassen, bis sich zu viel davon angesammelt hat und dir Streukreise merklich aufgehen (hatte ich bei meiner 308 noch nie). Dann ist es Zeit für chemische, kupferlösende Reiniger.
Vorsicht: ich habe einen side-by-side Vergleich bei .45 ACP (ich weiß, das ist ein völlig anderes Kaliber) gesehen, bei dem ein Lauf regelmäßig mit scharfer Chemie gereinigt wurde, dieser wies viel schneller ein größeres Diameter auf (= der Lauf hat sich schneller abgenutzt). Manche scharfe Chemie kann auf Dauer Laufmaterial "fressen", bzw "auflösen" (Profis mögen mich da bitte korrigieren, aber der Vergleich war eindeutig).
Ein anderes Negativbeispiel ist die "Benchrest Laufreinigungspaste". Eine abrassive Paste (also eigentlich eine Schleifpaste im entfernten Sinn!), die naturgemäß Material entfernt! Ich werde die Schützen nie verstehen, die damit den Lauf bearbeiten und malträtieren. Sie schleifen damit den Dreck und logischerweise auch Laufstahl raus. Verrückt!
Das ist ein Beispiel dafür, dass sich die Urban Legend gehalten hat, dass Läufe nicht durchs Schießen, sondern durchs Putzen kaputt werden.
Halte den Pulverschmauch im Lauf "at bay", wie man so schön auf Englisch sagt.
Für mich hat WD40 SPITZEN Dienste geleistet. Wd40 ist billig und so simpel. Es ist ein geläufiges Kriechöl, dass sogar Rost aufweichen kann (Du könntest damit zB durch Rost festgefressene Schrauben lösen).
Schieb nach dem Schießen zuerst die harte Kunststoffbürste durch. Vorne an der Mündung wirst Du damit mal eine ordentliche Schmauchwolke rauskatapultieren. Mach das so lange (von hinten nach vorne, sonst ziehst Du den Schmauch nur ins Patronenlager), bis keine Staubwolke mehr rauskommt. Wenn das keinen Effekt mehr zeigt, drücke einen mit WD40 getränkten Patch von hinten nach vorne - damit schiebst Du mal den losen Dreck raus.
Dann lass mal das WD40 den Dreck aufweichen (20 Mins sollten mehr als genug sein).
Dann nochmal nen getränkten Patch durch, der sollte richtig dunkelschwarz sein. Wenn die Patches nur mehr grau rauskommen, nimm die Kupferbürste (Du hast Dir genau das richtige Zeug besorgt!!), spritz WD40 drauf und bürste mal fest den Lauf durch.
Ich glaube nicht an Voodoo und auch nicht daran, dass weiche Kupferborsten gegen die Schussrichtung auch nur irgendeinen negativen Effekt auf den harten Laufstahl haben können (wie sollte er der Schussbelastung sonst standhalten?!)
Sobald Du fest gebürstet hast, drück nen öligen Patch durch um den Gatsch aus dem Lauf zu entfernen.
Mach das paar Mal. Nicht vergessen: der Schmauch wurde durch den Schuss eingebrannt und durch das Projektil reingequetscht. Du wirst IMMER einen zumindest grauen Patch haben, wenn du einen geölten Patch durchdrückst.
Vergiss nicht: es ist nicht das Ziel, einen klinisch reinen Lauf zu haben.
Alle 200-250 Schuss kannst Du mal sehen, ob die Schussgruppen aufgehen. Ich bezweifle es. Tun sie es doch, dann verwende mal nen chemischen Reiniger (Hoppes #9 erscheint mir nicht ansatzweise so scharf wie Robo/ Robla Sol oder wie das beißend scharfe Teufelszeug heißt und tut den Job genau richtig).
20 Mins einwirken lassen und dann drück nen Patch mit Hoppes durch. Dieser sollte bläulich verfärbt sein (=gelöstes Kupfer). Dann tränk die Bürste mit Hoppes und zieh sie gut 20 Mal oder mehr in beide Richtungen durch.
Vorsicht: so ziehst Du Dir natürlich auch Dreck ins Patronenlager. Ich habe dafür immer Taschentücher auf den Aufsatz für die Patches gewickelt, ins Lager gesteckt und so lange gedreht, bis es den ganzen Schmodder aufgesogen hat.
Dang, sauber ist der Knallstock. Paar Tropfen WD40 auf die Plastikbürste, zieh ein mal durch damit er mit Öl benetzt und gegen Korrosion geschützt ist.
Vor dem Schießen musst Du den Ölfilm natürlich mit paar trockenen Patches zu Hause entfernen.
Dann ärgere Dich beim nächsten Schießen darüber, dass Du X Schuss gebraucht hast, um wieder einen konstanten Kupferabrieb zu erreichen und hab wieder Spaß dran.
Das künstliche Schloss hindert die Metallteile des Putzstocks daran, über den Übergangskonus zu rattern und diesen auf Dauer abzunutzen (google mal Übergsngskonus und sieh ihn Dir an). Er ist dafür wichtig, das Projektil glatt und konstant aus dem Laderaum in den Lauf zu befördern.
Mit dem kugelgelagerten Stock, der ohnehin nur Weichmetalle dran hat, habe ich das nie für notwendig gehalten. Der Waffenhandel lebt vom Aberglauben und dem schwachen Ego vieler Schützen, schlechte Steukreise nicht ihren Skills zuzuschreiben - diese zahlen nahezu jeden Preis für Wundermittel zur Waffenpflege.
Also. Schnapp Dir Baumwollpatches, Plastikbürste, Kupferbürste, WD40 und ggf. Hoppes # 9 und Küchenrolle fürs Patronenlager. Das ist quasi jedes Mal ein Wellnessprogramm fürs Metall im Lauf.
Teile mal Streukreise mit uns!
Alles Liebe,
Spitfire