COVID-19 / Teil 5: Der 28 Tage Countdown* - Tag NULL. ARSCHKNAPP** war es. Und es ist immer noch ARSCHKNAPP.
Liebe alle, 28 (+2) Tage sind vorbei vom 28 Tage Countdown*. Erste Etappe erreicht.
ABER ES WAR ARSCHKNAPP**. Leider ist es auch WEITERHIN ARSCHKNAPP und das EREICHTE ist EXTREM ZERBRECHLICH. Diese Aussage kann man mit Zahlen und kleinen Rechnereien sehr gut untermauern.
Unser Rechenmodell (Datenmodell/Simulation und Grafik: Sabine Hofer) hat bei allen wöchentlichen Updates demonstriert, dass wir die Überforderung unseres Gesundheitssystems, so wie in Italien, dann in Spanien, nachfolgend in UK und jetzt in Schweden, vermeiden werden können. Wir - Österreich - haben damit europaweit einen Standard gesetzt – dank schneller Maßnahmen und dank konsequenter und verständiger Mitarbeit aller!
ABER ES WAR WIRKLICH ARSCHKNAPP UND ES IST WEITERHIN ARSCHKNAPP, auch wenn wir uns bereits wiederum in der Komfortzone fühlen, zumindest viele von uns. Warum?
Österreich hat als eines der ersten Länder weltweit einen wissenschaftlichen und datentechnischen Standard vorgegeben: Eine erstmalige Untersuchung der tatsächlichen Verbreitung von COVID-19 in der Allgemeinbevölkerung – um einen eventuell vorhanden dark pool aufzudecken bzw. das unentdeckte Ausbreiten von COVID-19 zu testen. Das Ergebnis ist spektakulär (unerwartet für viele): von 1544 getesteten Personen hatten lediglich 5 (!) ein
positives Ergebnis, also eine gerade aktive Erkrankung. Das sind 0,33% der Allgemeinbevölkerung. Die Stichprobennahme war am Beginn der letzten Woche.
ABER JETZT KOMMTS: Dieser niedrige Anteil von 0,33% an aktiv Erkrankten erzeugt jetzt, 10 Tage später, einen Patientenpool von 250 Schwerstkranken, der bereits 20% aller in Österreich für COVID-19 verfügbaren Intensivstationsbetten benötigt. Jetzt darf es klingeln! Wir haben ca. 1.250 Intensivstationsbetten für COVID-19 Patienten in Österreich (trotz weitgehender Stilllegung verschiebbarer Operationstätigkeit zwecks Freihalten der Intensivstationen).
Davon sind jetzt, aus dem Pool von 0,33% Erkrankten in der Allgemeinbevölkerung, bereits 250 belegt – also 20%. Damit kann man jetzt weiterrechnen: Zu Beginn der Maßnahmen hatten wir eine Verdopplungszeit von 2-3 Tagen (48-72 Stunden, Mittelwert 2,5 Tage). Ohne Maßnahmen, also bei gleichbleibender Verdoppelungszeit, wären die 0,33% aktiv Erkrankter also nach 7,5 Tagen ohne Massnahmensetzung (=3 x 2,5 Tage) von 0,33% auf 0,66% (nach 2,5 Tagen) und dann auf 1,33% (nach 5,0 Tagen) und dann auf 2,66% angestiegen. Das heißt aber auch, dass die Belegungsquote der Intensivstationen ebenso - nach einer Latenzzeit von ca. 10 Tagen - von 20% nach weiteren 2,5 Tagen auf 40%, nach 5 Tagen auf 80% und nach 7,5 Tagen bei 160% gelegen wäre. KLAR IST DAMIT: Von italienischen Verhältnissen waren wir nur 6-7 Tage entfernt was die Rechtzeitigkeit der Massnahmensetzung betraf. Da war wirklich keine Zeit zu verlieren. Das zügige und schnellere Setzen von effektiven Maßnahmen, verglichen mit anderen Staaten, hat bei uns das Desaster letztendlich völlig vermieden – und wir durften bisher einen anderen Verlauf erleben als Spanien, jetzt UK und auch Schweden.
Unser Datenmodell (Datenmodellierung und Grafik: Sabine Hofer) zeigt es deutlich: UK und Schweden starteten mit einer ähnlich günstigen Ausgangssituation (siehe Grafiken), die Regierungen beider Länder haben aber leider mit alternativen Strategien das window of opportunity – also das Zeitfenster für effektives Handeln – die Kontrolle aus der Hand gegeben und in dieser Phase des Nichtstuns und des politischen Kalküls das Leben vieler Menschen verspielt – und das Drama nimmt dort seinen weiteren Lauf. Leider.
WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE WEITERE ZUKUNFT BEI UNS: Ganz einfach. Wenn wir die Maßnahmen zu schnell, zu früh, oder zu umfassend versuchen wieder zurückzunehmen – dann haben wir - auch jetzt und WEITERHIN (für lange Zeit) das Risiko, innerhalb von dieser sehr knappen Zeitspanne unumkehrbar doch noch in italienische Verhältnisse zu laufen. Wir sind tatsächlich – solange die aktive Erkrankungsquote im Bereich dieser 0,33% liegt – und bei gleichzeitiger Aufhebung der Maßnahmen oder deutlich abnehmender Akzeptanz derselbigen - in kürzester Zeit bei italienischen Verhältnissen. Es ist deshalb besonders wichtig, diese Quote der aktiven Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung kontinuierlich zu messen – und erst ein deutlicher messbarer Rückgang erlaubt die schrittweise Rücknahme von Maßnahmen. Davon ist zwangsläufig auszugehen.
Das Ziel muss daher weiterhin sein, die Ausbreitung von COVID-19 bei uns so gut wie vollständig zum Erliegen zu bringen. Jeder Versuch und jede Idee, Herdenimmunität als Lösungsstrategie zu probieren, funktioniert nicht, weil wir zu jeder Zeit (solange es keine wirksame ursächliche Therapie/Medikamente gibt) bei mehr als 2% aktiver Erkrankter in der Allgemeinbevölkerung ein Überfüllen der Intensivstationen erreichen werden. Ein kontrolliertes Hintasten an diese 2% ist definitiv nicht möglich. Selbst wenn es gelänge, die Rate aktiv Erkrankter genau an dieser kritischen Schwelle von 2% zu halten, würde das Erreichen einer Herdenimmunität mehr als 1 Jahr (leicht errechenbar) in Anspruch nehmen. Das funktioniert also keinesfalls. Wir müssen uns also noch sehr lange auf beschränkende Maßnahmen einstellen – je früher Maßnahmen jetzt aufgehoben werden – desto länger wird die Rückkehr in die neue Normalität dauern.
Zur Länderanalyse:
Bei unseren Modellländern hat Österreich die Komfortzone bisher gar nie ernsthaft verlassen. In der Reihenfolge der stärksten Betroffenheit durch COVID-19
hat nun aktuell (wie von uns prognostiziert) UK nun Rang eins eingenommen, bereits gefolgt von Schweden. Schweden hatte (zu Beginn der Krise) gerade mal 600 Intensivstationsbetten. Die Anzahl der kritisch kranken Patienten und der Todesfälle (der letzten 14 Tage) beträgt jetzt bereits mehr als 2.100 (1.203 tot, 954 kritisch krank)! Es ist also klar, in Schweden kann nicht mehr jeder schwer Erkrankte die notwendige intensivmedizinische Behandlung erhalten. Triage ist angesagt.
Es zeigt sich auch: nachdem der Peak in Italien und der Schweiz sichtbar überwunden war, ist nun die weitere Rückbildung ein sehr langsamer Vorgang, und dies obwohl die beschränkenden Maßnahmen noch nicht deutlich gelockert wurden. Das sollte nachdenklich stimmen in Hinblick auf die Erwartungshaltung der generellen Maßnahmenlockerung bei uns – das wird nicht sehr schnell möglich sein ohne negative Konsequenzen.
Die USA haben eine starke Betroffenheit in 2 – 3 Bundesstaaten (führend New York), darüber hinaus könnte aber ein Containment von COVID-19 durchaus noch
gelingen – die meisten US-Bundesstaaten sind auf dem Betroffenheitsniveau von Österreich/Schweiz (noch). Da wir in unserem Datenmodell die USA nur als
Gesamtheit rechnen ergibt sich dadurch ein wenig dramatisches Bild.
Schwellenländer: Querbeet deutlich steigend – fallweise deutliche Reporting- und Testdefizite. Wenn wir (Europa, USA) es nicht schaffen, uns auch – über unsere eigenen Probleme hinweg – dort helfend einzubringen – dann wird wohl China das für uns übernehmen. Wir haben die Wahl.
Lg an alle, Kopf hoch! Es lohnt sich jetzt nicht aufzugeben!
Sabine Hofer, Norbert Hofstätter
Der Beitrag darf gerne geteilt werden - wir haben sehr viel positive Reaktionen bisher erhalten! Vielen Dank!
Fragen, Diskussionen - immer gerne willkommen.
*Countdown Tag 0: Vorhergesagter Wendepunkt in der Krise, aber hier sollte es besser werden! (Ostermontag!)
** arschknapp: sprachlich entlehnt von unserem Bundesspräsidenten. Korrekter wäre wohl „gerade noch ausreichend“.
Bericht von Norbert Hofstätter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Immunbiologie und Bio-Nano-Interactions Universität Salzburg